Es war eine martialische Ankündigung, die europäische Spitzenpolitiker umgehend zu öffentlichen Sorgenbekundungen veranlasste: Trumps ehemaliger „Chefstratege“ Stephen Bannon gab Ende Juli bekannt, Europa mit einer „rechtspopulistischen Revolte“ überziehen zu wollen. Dazu sollen auch auf individuellen Profildaten basierende politische Botschaften in den sozialen Medien – Micro Targeting genannt – platziert werden. Im selben Zug kündigte Bannon an, er wolle dafür vorab „Unterstützung bei der Datenerfassung“ leisten. Ist die europäische Furcht vor Bannons Ankündigung, datengestützt die etablierten Demokratien in eine Krise führen zu wollen, berechtigt?
Kurzfristig ist Bannons Ankündigung nicht umsetzbar. Mittelfristig aber könnten seine datengestützten Propagandainstrumente den europäischen Demokratien durchaus gefährlich werden, wie ein Blick auf den aktuellen Forschungsstand und die Berichterstattung zeigt. So gehen Analysten davon aus, dass Micro Targeting die politische Meinungsbildung von Usern grundsätzlich beeinflussen kann – auch in deutschen Wahlkämpfen wurden bereits sogenannte Dark Ads geschaltet. Insgesamt stoße das Micro Targeting bei der Mobilisierung von Wählern jedoch rasch an Grenzen, resümiert das Portal Netzpolitik die Forschungsergebnisse des US-Politikwissenschaftlers Eitan Hersh.
Der Anteil von Cambridge Analytica am Wahlerfolg Trumps und am Brexit bleibt umstritten, ein großer Einfluss konnte aber bisher nicht nachgewiesen werden. Die mittlerweile insolvente Datenanalysefirma, deren Vice-President Bannon zwischenzeitlich war, hatte vermittels Facebook generierte Personendaten für die zielgerichtete Bewerbung politischer Inhalte aufbereitet.
Ein gerade veröffentlichtes Paper zweier US-Ökonomen legt jedoch den Schluss nahe, dass internetgestützte Technologien keine große Rolle für Trumps Wahlerfolg gespielt haben. Vermutlich sind seine Zielgruppen unterdurchschnittlich netzaffin. Eine Studie der Politikökonomen Martin und Yurukoglu deutet vielmehr daraufhin, dass die von Trump begeisterte Berichterstattung einschlägiger Kabel-TV-Sender wie Fox News deutlich mehr Einfluss auf den Wahlausgang hatte. Überdies sei die sogenannten „Psychometrics“, die algorithmische Methode der Cambridge Analytica, wohl gar nicht benutzt worden, meint die NGO Algorithm Watch.
Für die Brexit-Kampagne ergibt sich kein klares Bild: Zwar seien die Brexit-Befürworter in den sozialen Medien laut Algorithm Watch unterrepräsentiert und damit schwer zu erreichen. Ein Ausschuss des britischen Parlaments kam jetzt jedoch zu dem Schluss, dass Dark Ads – dabei handelt es sich um Anzeigen, die auf bestimmte Profile ausgerichtet sind und für die Mehrheit der Nutzer im Dunkeln bleiben – wohl die Leave-Kampagne der Brexiteers befördert habe. Der Cambridge-Analytica Whistleblower Christopher Wylie vermutet sogar, dass es den Brexit ohne die Datentechnologie nicht gegeben hätte.
Aber selbst wenn die Software einen Teil der Wähler manipulieren könnte, wie Programmierer Wylie behauptet, käme ein struktureller Unterschied zum US-Wahlkampf zum Tragen: Die europäischen Parteien verfügten bei weitem nicht über einen derart großen Datenbestand wie die Parteien in den USA, sagte der Mainzer Wissenschaftler Simon Kruschinski dem Nachrichtenportal euractiv.
Änderungen im europäischen Datenschutzrecht erschweren inzwischen die Datensammlung für die Plattformen und die politische Akteure. Seit Inkrafttreten der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am 25. Mai ist es unwahrscheinlich, dass eine neue Datenlese im Stile von Cambridge Analytica unerkannt und damit auch ungestraft bliebe. Die DSGVO schreibt den Konzernen eine freiwillige Zustimmung der User zur Nutzung der Daten vor.
Auch Facebook reagierte auf die neue Gesetzeslage und verbietet seit dem 1. August anderen Apps, „bestimmte Kategorien besonders geschützter Daten […] wie Informationen zu Religion oder Politik abzufragen“ – zumindest nach eigener Darstellung. Sollte dies zutreffen, wäre eine Datenlese nach dem Muster des Cambridge Analytica-Skandals theoretisch nicht möglich. Neben der EU beraten auch nationalstaatliche Akteure wie das Unterhaus des britischen Parlaments darüber, wie man sogenannte „Fake News“ oder Auswüchse des Micro Targetings eindämmen kann. Vorgeschlagen wurden etwa Transparenz-Register, in denen sämtliche Anzeigen öffentlich einsehbar wären. Zudem gibt es Überlegungen, dass politische Werbebotschaften in sozialen Netzwerken an eine Mindestanzahl an Usern gerichtet werden müssen. So soll Dark Advertising unterbunden werden.
Freilich wäre es leichtsinnig, aufgrund der oben zitierten wissenschaftlichen Befunde sowie der aktuellen Regulierungsversuche Entwarnung zu geben. Politisches Micro Targeting und Dark Ads tragen weiterhin zur fortschreitenden Fragmentierung der europäischen Gesellschaften bei, indem sie Informationen aufgrund individueller Vorlieben und Abneigungen selektieren. Bannon hat mit „Breitbart“ ein Vorbild für populistische Medienportale geschaffen, das in Europa zahlreiche Nachahmer findet. Die Zahl der Produzenten, die originäre journalistische Inhalte als sogenannte „Fake News“ diffamieren und selbst Fake News produzieren, steigt weiter an. Zudem hat Bannon bewiesen, dass er finanziell potente Gruppen mit skrupellosen Opportunisten und demokratieverachtenden Lügnern zusammenbringen kann. Seine Ankündigung, er werde mit Datenerfassung und zielgerichteten Botschaften seine „rechten Revolte“ in Schwung bringen, mag pralle Propaganda sein; kritisch beobachten sollte man ihn gleichwohl.